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04 Mai 2006

Irans Entscheidungsträger

Irans Atomprogramm und die Entscheidungsträgerschaft in der Sicherheitspolitik

Seit Anfang 2003 hat sich der Streit um Irans Atomprogramm kontinuierlich zugespitzt. Zwar hat ein Vertreter des Iran auf Druck der EU und der USA am 18. 12. 2004 in Wien am Sitz der IAEA das Zusatzprotokoll zum Atomwaffenspeervertrag unterzeichnet, doch ist der Streit damit nicht beendet. Eher im Gegenteil: So tauchten seither erneut Berichte darüber auf, dass IAEA-Inspektionsteams nicht deklarierte Urananreicherungszentrifugen entdeckt haben. Dies nährt den vor allem von den USA gehegten Verdacht, dass Iran seit langem unter dem Deckmantel seines zivilen Atomprogramms auch zugleich ein militärisches Atomprogramm verfolgt. Nach langjähriger Beobachtung des Irans ist zu unterstellen, dass die Vermutung der USA in diesem Punkt wahrscheinlich zutrifft und dass in der Tat eine angestrebte Atombewaffnung ein integraler, gleichwohl niemals offen deklarierter Bestandteil der Sicherheitspolitik Irans ist.

Als Gründe für den geringen Einfluss der Reformer auf die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik lassen sich vier Faktoren nennen:
1. ein Fraktionen übergreifender nationalen Konsens in wichtigen Feldern der iranischen Außen- und Sicherheitspolitik. Grundlage dieses Konsenses ist ein weit verbreiteter patriotischer Nationalstolz in Verbindung mit einem aus der Revolution erklärbaren Streben, die nationale Unabhängigkeit zu wahren, von den USA als gleichwertiger Verhandlungspartner anerkannt zu werden und regional wie international einen größeren Status zuerkannt zu bekommen;
2. die geringe Priorität, die die Reformer, die zuvörderst mit drängenden sozialen und innenpolitischen Problemen des Volkes befasst sind, seit 1997 der nationalen Sicherheitspolitik einräumen;
3. interne Differenzen im Reformerlager, die ihren Gesamteinfluss mindern;
4. der eiserne Griff, mit dem die Konservativen das Feld der Sicherheitspolitik kontrollieren.
Hauptkennzeichen der Frage der Entscheidungsträgerschaft in der Sicherheitspolitik einschließlich der Frage der Massenvernichtungswaffen ist eine bis heute anhaltende Intransparenz. Anders als in Fragen der Innen-, Wirtschafts- und Kulturpolitik, wo der durch die Reformer seit 1997 in Gang gesetzte Diskurs und die vergrößerte Meinungsfreiheit ihre Spuren hinterlassen haben, bleiben die Fragen der Sicherheitspolitik von der öffentlichen Debatte zumeist unberührt. Es ist zu vermuten, dass gegen Ende der 1980er Jahre in Irans Führung Weichen stellende Entscheidungen in Punkto Nuklearwaffenprogramm getroffen wurden, dessen Implementierung seither trotz gelegentlicher finanzieller und technischer Probleme, die zu Verzögerung führten, im geheimen fortgesetzt wird.
Obwohl im Laufe der Zeit sowohl der Revolutionsführer als auch die Präsidenten gewechselt haben und obwohl die Leiter der pasdaran und der regulären Armee wie auch die meisten Mitglieder des NSR ausgetauscht wurden, lässt sich eines feststellen. Die Entscheidungsträger in den sensibelsten Feldern, nämlich Trägerraketen, Nuklear-, Bio- und Chemiewaffen, sind seit Ende der 1980er Jahre stets auf eine kleine Gruppe von Personen beschränkt geblieben, und zwar allesamt Personen, die die Zeitenwechsel überlebt haben, wenngleich oft in unterschiedlichen Ämtern, die zumeist nicht direkt mit der Verteidigungspolitik zusammenhängen. Zu dieser Gruppe dürften mit Sicherheit folgende Personen zählen:
# Revolutionsführer Khamenei,
# der Feststellungsratsvorsitzende Rafsanjani,
# Mohsen Rezai, der ehemalige langjährige pasdaran-Kommandant und jetzige Sekretär des Feststellungsrates,
# der derzeitige pasdaran-Kommandant Rahim-Safavi,
# der derzeitige Verteidigungsminister Ali Shamkhani
# und der derzeitige Generalsekretär des NSR, Hasan Ruhani.

Dr. Wilfried Buchta (Deutsches Orient-Institut), Mai 2004


Die hier verkürzt wiedergegebene Analyse hat natürlich noch nicht Ahmadinedchad als Präsidenten berücksichtigt. Aber daran, daß im Iran nicht der Präsident die Macht hat, sondern der Revolutionsführer und andere Personen die Leitlinien der Politik vorgeben, hat sich seit 2004 nichts wesentliches geändert.