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10 Mai 2006

Internationale Kommentare zum Brief Ahmadinedschads

Der Brief drückt den Wunsch nach Gesprächen aus. Es wäre falsch, ihn unbeantwortet zu lassen. Der Iran hält einige gute Karten in der Hand, und er weiß das. Dazu gehören das Öl und die wiederholte Drohung, sich vom Atomwaffensperrvertrag zu verabschieden. Diplomatie mag für alle, die davon betroffen sind, langsam und frustrierend sein. Aber solange die Straßen der Kommunikation geöffnet sind, sollten sie auch genutzt werden", gibt der britiche INDEPENDENT zu bedenken.

Auch der FIGARO aus Frankreich rät, auf den Brief zu reagieren:
"Amerika muss mit dem Iran sprechen. Aus vielen Gründen.Zuerst, weil man unbedingt verhindern muss, dass sich die Islamische Republik die Atombombe besorgt, um Israel zu zerstören und ihre Revolution zu exportieren. Dann, weil niemand überzeugt ist, dass die derzeitige Strategie zum Erfolg führt: Kann man den Iran dazu zwingen, die Urananreicherung aufzugeben, indem man in der UNO einen Konsens über Sanktionen herbeiführt? Schließlich, weil ein Militärschlag als letzte Option gegen einen atomar bewaffneten Iran erheblich waghalsiger wäre als gegen den Irak. Nach 27 Jahren Blockade ist der Augenblick gekommen, illusionsfrei die Dialogfähigkeit der iranischen Führung zu testen."
So weit der FIGARO aus Paris.

Die polnische GAZETA WYBORCZA sieht in der Initiative von Ahmadinedschad ...
"... einen weiteren Propaganda-Trick eines Mannes, der konsequent an der Errichtung eines islamischen Imperiums im Nahen Osten arbeitet. Dem dienen seine berüchtigten Aussagen von der Vernichtung Israels oder vom Holocaust, den er beharrlich leugnet. Seit gestern kann Ahmadinedschad behaupten, er korrespondiere auf gleicher Augenhöhe mit dem amerikanischen Präsidenten oder - was noch wahrscheinlicher ist - er erteile ihm schriftliche Belehrungen", vermutet die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.

BERLINGSKE TIDENDE aus Kopenhagen zeigt sich von der puren Existenz des Briefes beeindruckt:
"Was auch immer genau drin stehen mag: dies ist ein historischer Brief. Seit der iranischen Revolution 1979 und der anschließenden Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran hat es keine öffentlich bekannten Kontakte zwischen beiden Ländern gegeben. Würde Bush die Einladung zum Dialog annehmen, wäre das einer der Aufsehen erregendsten internationalen Durchbrüche neuerer Zeit", ist die dänische Zeitung BERLINGSKE TIDENDE überzeugt.

Die ARAB NEWS aus Dschidda bewerten das Schreiben aus Teheran wie folgt:
"Die 18 Seiten, in denen es nach offiziellen iranischen Angaben um Lösungen für die aktuellen Probleme geht, sind sehr ausschweifend abgefasst. Die von den USA veröffentlichten Auszüge zeigen, dass die Sichtweisen beider Länder völlig unterschiedlich sind. Folglich gibt es keine Basis für eine Verständigung, zumal die aktuelle Streitfrage, das iranische Atomprogramm, ausgeklammert wird. Trotzdem stellt der Brief einen diplomatischen Durchbruch dar. Denn kein iranischer Präsident hatte seit dem Sturz des Schahs 1979 direkten Kontakt zu einer US-Regierung. Dass sich dies nun in dieser Phase geändert hat, ist bemerkenswert und ermutigend", finden die ARAB NEWS aus Saudi-Arabien.

Das WALL STREET JOURNAL aus New York zitiert aus dem Dokument:
"'Die Einsichtigen', schreibt Ahmadinedschad an Bush, 'können schon die Klänge des Sturzes der Ideologie des liberal-demokratischen Systems hören'. Was aber in dem Brief völlig fehlt, ist jeglicher Hinweis darauf, dass Ahmadinedschad bereit ist, seinen Standpunkt zu mäßigen, um die USA oder die UNO auf halbem Wege zu treffen", kritisiert das WALL STREET JOURNAL aus den USA.

Die Zeitung DELO aus Kiew kommentiert:
"Washington hatte sich von dem Brief mehr erhofft, zum Beispiel Informationen über das iranische Atomprogramm. In den USA wird die Botschaft des Iran daher lediglich als ein Versuch verstanden, die internationale Staatengemeinschaft von ihrem Kurs abzubringen und die Verhandlungen zur Iran-Frage, die in New York stattfinden, zu beeinflussen", vermutet DELO aus der Ukraine.